Die Aufwandsschätzung ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit einer jeden Projektmanagerin und eines jeden Projektmanagers. Dabei ist es entscheidend, die richtige Methodik zu wählen, um den Projektumfang, die benötigten Ressourcen und die Zeitpläne genau zu bestimmen. In diesem Artikel werden wir die klassische 3-Punkt-Schätzung mit dem agilen Ansatz der relativen Größenordnung mithilfe von Story Points vergleichen.
Welche dieser Ansätze am besten zu Deinem Projekt, Deiner Produktentwicklung und generell zu Eurem Team passt, ist von vielen Faktoren abhängig. Als Projektmanager:in oder Produktverantwortliche:r solltest Du jedoch verschiedene Ansätze und Methoden kennen.
Klassische Aufwandsschätzung: 3-Punkt-Schätzung
Die 3-Punkt-Schätzung ist eine Methode des klassischen Projektmanagements, die darauf abzielt, Unsicherheiten bei der Schätzung von Projektaufwänden zu reduzieren. Diese Methode verwendet drei verschiedene Schätzwerte, um eine realistischere und genauere Schätzung zu erstellen:
1. Optimistische Schätzung (O): Die Schätzung, die den besten Fall darstellt.
2. Pessimistische Schätzung (P): Die Schätzung, die den schlechtesten Fall darstellt.
3. Wahrscheinlichste Schätzung (W): Die Schätzung, die am wahrscheinlichsten ist.
Die 3-Punkt-Schätzung wird durch die Formel berechnet:
Diese Methode liefert einen gewichteten Mittelwert und berücksichtigt dabei sowohl die beste als auch die schlechteste Situation.
Hier ein Beispiel:
Für unser Projekt, eine neue Webseite zu erstellen, haben wir bereits die verschiedenen Arbeitspakete definiert und wollen nun herausfinden, was der Gesamtaufwand für das Projekt sein könnte.
Einer der ersten Schritte wäre die Aufgabe, die Anforderungen für die neue Seite zu sammeln und zu analysieren.
Die beispielhafte Berechnung der 3-Punkt-Schätzung für den Schritt „Anforderungen sammeln und analysieren“ sieht also so aus:
- Optimistische Schätzung (O): 5 Tage
- Wahrscheinlichste Schätzung (W): 8 Tage
- Pessimistische Schätzung (P): 12 Tage
Wir schätzen den den Aufwand also auf ca. 8 Tage.
Diese Berechnung führen wir für jedes Arbeitspaket aus und kommen so dann auf einen geschätzten Gesamtaufwand für das Projekt.
Vorteile der 3-Punkt-Schätzung
– Reduzierung von Unsicherheiten: Durch die Berücksichtigung von optimistischen und pessimistischen Szenarien wird eine realistischere Schätzung erreicht.
– Detaillierte Analyse: Diese Methode zwingt das Team, verschiedene Szenarien zu betrachten und Risiken besser zu verstehen.
– Verlässliche Planung: Die gewichtete Schätzung führt zu einer besseren Planungsgenauigkeit und Ressourcenallokation.
Herausforderungen der 3-Punkt-Schätzung
– Zeitaufwendig: Die Erstellung von drei verschiedenen Schätzungen kann zeitintensiv sein.
– Subjektiv: Die Genauigkeit der Schätzung hängt stark von der Erfahrung und dem Wissen derjenigen ab, die die Schätzungen vornehmen.
– Potentiell komplex: Für große und komplexe Projekte kann die Anwendung dieser Methode schwierig sein.
Agile Aufwandsschätzung: Relative Größenordnung mithilfe Story Points
Im agilen Projektmanagement, insbesondere in Scrum, werden Aufwandsschätzungen häufig mit Story Points durchgeführt. Story Points sind eine abstrakte Maßeinheit, die den relativen Aufwand zur Umsetzung einer User Story widerspiegeln.
Charakteristika der Story Points
– Relative Schätzung: Story Points messen den relativen Aufwand im Vergleich zu anderen User Stories und berücksichtigen dabei Komplexität, Risiken und Unsicherheiten.
– Team-basierte Schätzung: Die Schätzung erfolgt durch das gesamte Team, oft mittels Planning Poker, um eine gemeinsame Einschätzung zu erreichen.
– Unabhängig von Zeit: Story Points sind keine Zeiteinheiten, sondern eine Maßzahl für den relativen Aufwand.
Auch hier ein konkretes Beispiel:
Beispiel: Entwicklung einer neuen Funktion für eine mobile App
Angenommen, ein Entwicklungsteam arbeitet an einer neuen Funktion für eine mobile App, die eine Benutzerregistrierung, das Erstellen eines Benutzerprofils und die Integration einer Push-Benachrichtigung umfasst. Das Team verwendet Story Points, um den relativen Aufwand für jede User Story zu schätzen.
Schritt 1: User Stories definieren
- User Story 1: Benutzerregistrierung:
- Als Benutzer möchte ich mich registrieren können, um auf die App zugreifen zu können.
- User Story 2: Benutzerprofil erstellen:
- Als Benutzer möchte ich ein Profil erstellen können, um meine Informationen zu speichern und zu verwalten.
- User Story 3: Push-Benachrichtigung integrieren:
- Als Benutzer möchte ich Push-Benachrichtigungen erhalten, um über wichtige Ereignisse informiert zu werden.
Schritt 2: Story Points zuweisen
Das Team diskutiert jede User Story und verwendet eine Methode wie Planning Poker, um den relativen Aufwand in Story Points zu schätzen. Dabei berücksichtigen sie Komplexität, Risiken und Unsicherheiten.
- User Story 1: Benutzerregistrierung
- Diskussion: Das Team bewertet die Registrierung als relativ einfach, da ähnliche Funktionen bereits vorhanden sind.
- Schätzung: 3 Story Points
- User Story 2: Benutzerprofil erstellen
- Diskussion: Diese Aufgabe erfordert mehr Aufwand, da das Profil mehrere Felder und Validierungen umfasst.
- Schätzung: 5 Story Points
- User Story 3: Push-Benachrichtigung integrieren
- Diskussion: Diese Aufgabe ist am komplexesten, da sie eine Integration mit einem externen Push-Dienst und umfangreiche Tests erfordert.
- Schätzung: 8 Story Points
Schritt 3: Sprint-Planung
Das Team plant einen Sprint von zwei Wochen Dauer. Basierend auf der Velocity (Durschnitts-Durchsatz) des Teams aus früheren Sprints wissen sie, dass sie normalerweise etwa 20 Story Points in einem Sprint abschließen können.
Sprint-Backlog erstellen:
- User Story 1: Benutzerregistrierung – 3 Story Points
- User Story 2: Benutzerprofil erstellen – 5 Story Points
- User Story 3: Push-Benachrichtigung integrieren – 8 Story Points
Gesamtsumme der Story Points im Sprint-Backlog: 3 + 5 + 8 = 16 Story Points
Das Team entscheidet, dass sie diese User Stories im kommenden Sprint bearbeiten werden, da der geschätzte Aufwand innerhalb ihrer Kapazität liegt.
Vorteile von Aufwandsschätzung mit Story Points
– Flexibilität: Story Points ermöglichen es Teams, flexibel auf Veränderungen zu reagieren, ohne genaue Zeitvorgaben machen zu müssen.
– Team-Beteiligung: Durch die gemeinsame Schätzung wird das gesamte Team in den Schätzprozess einbezogen, was die Genauigkeit erhöht.
– Kontinuierliche Verbesserung: Durch regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Schätzungen kann das Team seine Genauigkeit und Effizienz kontinuierlich verbessern.
Herausforderungen der Story Points
– Abstraktheit: Die Abstraktheit der Story Points kann für Stakeholder schwer verständlich sein.
– Erfahrung: Die Genauigkeit der Schätzungen hängt stark von der Erfahrung des Teams ab.
– Anfangsaufwand: Zu Beginn kann es schwierig sein, eine einheitliche Skala und ein gemeinsames Verständnis für Story Points zu entwickeln.
Fazit: Wann sollte ich nun welche Methode wählen?
Die Entscheidung zwischen der klassischen 3-Punkt-Schätzung und dem agilen Ansatz der Story Points hängt von der Art des Projekts, der Unternehmenskultur und den spezifischen Anforderungen ab. Die 3-Punkt-Schätzung eignet sich besser für Projekte, bei denen eine hohe Genauigkeit und Vorhersehbarkeit wichtig sind, während Story Points für dynamische, sich schnell ändernde Projekte ideal sind, bei denen Flexibilität und Team-Beteiligung im Vordergrund stehen.
Es ist prinzipiell auch immer möglich, beide Ansätze in unterschiedlichen Situationen und Kontexten anzuwenden – so kann man etwa für eine Schätzung von Gesamtprojektkosten und -dauern auf die 3-Punkt-Schätzung zurückgreifen, für konkrete Arbeitsaufgaben mit dem Team aber Story Points verwenden.